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Popinot wußte nichts von Roguins Flucht und Cäsars
geschäftlicher Kalamität. Somit konnte er auch Frau Bi-
rotteau nichts verraten. Seine Gedanken, seine Existenz
gehörten lediglich seinem Kephalol.
Er versprach Finot fünfhundert Francs für jede erstklassi-
ge Zeitung es gab damals deren zehn und dreihundert
Francs für jedes Blatt zweiter Güte es gab deren eben-
falls zehn , wenn darin jeden Monat dreimal von dem
Kephalol die Rede wäre. Der Journalist rechnete von
diesen achttausend Francs dreitausend auf sich und fünf-
tausend auf die Unkosten seiner Propaganda. Die dreitau-
send Francs gedachte er für seine Rechnung auf das rie-
sige grüne Tuch der Spekulation zu werfen. Er stürzte
sich wie ein hungriger Löwe auf alle seine Freunde und
Bekannten. Aus den Redaktionen kam er gar nicht mehr
heraus. Abends setzte er seine Tätigkeit in den Foyers der
Theater fort. Er schmuggelte Artikel und Annoncen in
die Zeitungen, indem er den Redakteuren Geld gab, ih-
nen schmeichelte, ihnen Dienste und Gefälligkeiten er-
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wies, sie zu Diners einlud, kleine Niederträchtigkeiten für
sie vollbrachte und so weiter. Er ruhte und rastete nicht,
erfand alle möglichen Tricks und war in seiner Leiden-
schaft zu allem fähig. Er bestach die Drucker, die gegen
Mitternacht den Satz der Tageszeitungen vollendeten, mit
Theaterbilletts, damit sie an Stelle des stets bereitliegen-
den »Vermischtes« Artikel und Notizen mit Hinweisen
auf das Kephalol einschoben. Finot erschien in den Dru-
ckereien, als habe er Korrekturen zu besorgen. Jeder-
manns Freund, verschaffte er auf die Weise dem Kepha-
lol den Sieg über alle Konkurrenzerfindungen, seihst
über solche, die sich ebenfalls des genialen Mittels der
Zeitungsreklame bedienten. Damals, in der paradiesi-
schen Epoche des Zeitungswesens, waren die meisten
Journalisten noch wahre Idioten; sie kannten ihre eigene
Macht nicht und vertrödelten sich bei hübschen Schau-
spielerinnen und Tänzerinnen. Sich gegenseitig schul-
meisternd, kamen sie auf keinen grünen Zweig.
Finot fiel es gar nicht ein, Schauspielerinnen die Wege zu
ebnen, Theaterstücken zum Erfolg zu helfen, seine eige-
nen Vaudevilles zur Aufführung zu bringen oder sich
seine Artikel bezahlen zu lassen. Im Gegenteil, er bot zur
rechten Zeit Geld oder lud zum Déjeuner ein. Dadurch
erreichte er, daß alle Zeitungen vom Kephalol sprachen,
Vauquelins Gutachten abdruckten und sich über die
Dummheit derer lustig machten, die noch glaubten, man
könne neue Haare sprossen lassen, wo keine mehr da
sind, oder sich das Haar färben, ohne die Gesundheit zu
schädigen.
Bewaffnet mit den Artikeln und Anzeigen der Tagespres-
se wanderte Gaudissart durch die Provinzen, um Vorur-
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teile niederzukämpfen, wo er auf welche stieß. Er voll-
brachte das, was man »grobes Geschütz auffahren« oder
»mit verhängten Zügeln Attacke reiten« nennt. Damals
gab es noch keine Provinzzeitungen; die Pariser Journale
beherrschten auch die Departements. Man studierte die
Pariser Blätter höchst ernsthaft und las sie vom ersten bis
zum letzten Buchstaben. Auf die Presse gestützt, hatte
Gaudissart allerorts glänzende Erfolge. Die Ladenbesit-
zer der Provinzen rissen sich um die gerahmten Rekla-
mebilder von »Hero und Leander«.
Finot verdiente sich die dreitausend Francs. In späteren
Tagen pflegte er lachend zu erzählen, ohne jenes Geld
wäre er vor Not und Elend umgekommen. Die tausend
Taler begründeten sein Glück. Ein Vierteljahr später war
er Chefredakteur einer kleinen Zeitung. Er war der erste,
der die Macht der Zeitungsreklame ahnte. Er schuf die
bezahlte Annonce und leitete damit eine ungeheure Re-
volution im Zeitungswesen ein.
Birotteau, der »Anselm Popinot & Co.« an allen Ecken
und Enden prunken sah, war unfähig, die Tragweite die-
ser Reklame zu ermessen; er begnügte sich damit, zu
seiner Tochter zu sagen: »Der kleine Popinot hat viel von
mir gelernt!« ohne den Wandel der Zeiten zu begreifen
und ohne die Macht der modernen Reklamemittel zu
würdigen, die durch ihre Schnelligkeit und Verbreitung
viel prompter wirken als die von Anno dazumal.
Seit seinem Ball hatte Cäsar keinen Fuß in seine Fabrik
gesetzt. Er wußte gar nicht, welche Regsamkeit und Tä-
tigkeit Popinot dort entfaltete. Anselm hatte nach und
nach alle Arbeiter Birotteaus in seine Dienste genommen.
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Er schlief in der Fabrik. In seiner Phantasie sah er seine
geliebte Cäsarine auf allen Kisten sitzen, über allen Ar-
beitstischen schweben und ihren Namen auf allen Rech-
nungen gedruckt. Sie muß meine Frau werden! sagte er
sich, wenn er in Hemdsärmeln in Abwesenheit seiner
irgendwohin geschickten Leute froh und munter selber
eine Kiste zunagelte.
Nachdem sich Cäsar die ganze Nacht hindurch hin und
her überlegt hatte, was er zu dem großen Manne der
Hochfinanz sagen oder nicht sagen solle, ging er am
Vormittag des neuen Tages nach der Rue du Houssaye.
Als er sich dem Palaste des liberalen Bankiers näherte,
überfiel ihn gräßliches Herzklopfen. Es kam ihm in den
Sinn, daß Keller einer politischen Partei angehörte, die
man mit Recht beschuldigte, den Sturz der Bourbonen im
Auge zu haben. Wie alle kleinen Pariser Kaufleute hatte
Birotteau keine Ahnung, wie die Leute der Hochfinanz
leben.
Es gibt zwischen der Bank von Frankreich und der Han-
delswelt gewisse kleinere Banken, nützliche Zwischen-
anstalten, welche die Sicherheit der großen Bank noch
erhöhen. Birotteau und Konstanze, die nie über ihre Kräf-
te hinausgegangen waren, deren Kasse nie leer gewesen,
hatten ihre Zuflucht niemals zu diesen Banken zweiter
Klasse zu nehmen brauchen, waren damit aber auch in
den höheren Regionen der Finanz um so unbekannter.
Vielleicht ist es kaufmännisch falsch, sich nicht über-
haupt eines wenn auch unnötigen Bankkredits zu bedie-
nen. Die Meinungen hierüber sind geteilt. Wie dem aber
auch sei, Birotteau bedauerte jetzt, in guten Tagen nie-
mals Wechsel mit seiner Unterschrift ausgegeben zu ha-
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ben. Da er aber als früherer Handelsrichter, Stadtverord-
neter und Royalist immerhin bekannt war, glaubte er,
sich nur anmelden lassen zu brauchen. Er hatte keine
Ahnung davon, wie überlaufen der Bankier war und daß
Keller wie ein Fürst Audienzen zu halten pflegte.
Als Cäsar im Salon vor dem Kabinett des in so vieler
Hinsicht berühmten Mannes saß, sah er sich zu seinem
Erstaunen mitten in einer großen Gesellschaft von Abge-
ordneten, Journalisten, Wechselagenten, Großkaufleuten,
Ingenieuren und so weiter; dazu kamen allerlei Intime
des Hauses, die die andern übergingen und außer der
Reihe gleichsam als Vorberechtigte in das Kabinett tra-
ten.
Was bin ich angesichts dieses Räderwerks? dachte Birot-
teau, ganz betäubt von dem Riesengange der intellektuel-
len Maschine, die vor seinen Augen arbeitete. Hier wurde
das tägliche Brot der Opposition gebacken. Hier wurden
die Rollen der großen von der parlamentarischen Linken
gespielten Tragikomödien einstudiert. Sich zur Rechten
hörte Cäsar eine Diskussion über die von der Regierung
beabsichtigte Anleihe zum Ausbau der Kanallinien, wo-
bei es sich um Millionen handelte. Zu seiner Linken un-
terhielt man sich über die gestrige Kammersitzung. Wäh-
rend zweistündigen Wartens beobachtete Birotteau
dreimal, wie der große Bankier bedeutenden Persönlich-
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